Die Tour beginnt im Mittenwalder Ortskern. Die Sonne tastet sich über die Gipfel, streift die Dächer und erweckt die Gassen zum Leben. Ich schlendere durch den Ortskern, vorbei an bunt bemalten Fassaden, deren Geschichten von Heiligen, Handwerkern und alten Sagen erzählen. Die Lüftlmalereien sind mehr als Schmuck – sie sind ein Bilderbuch, das im Licht des frühen Tages beinahe leuchtet. Zwischen den Häusern öffnet sich immer wieder ein Blick auf das Karwendel, so nah, dass man fast meint, die Felsen mit der Hand berühren zu können.
Zwischen all den Gassen, Seen und Schluchten erhebt sich die eigentliche Seele dieses Ortes: die Berge. Rund um Mittenwald wölbt sich das Karwendel wie eine schützende Wand aus Stein. Am Morgen glühen die Gipfel rosa im ersten Licht, als hätte jemand Feuer in den Felsen entfacht. Mittags wirken die Hänge klar und streng, scharf gezeichnet gegen den Himmel. Und wenn der Abend kommt, versinken sie in sanftes Blau, bevor die Nacht sie in Schatten hüllt.
Die Landschaft hier ist ein Spiel der Gegensätze. Sanfte Täler mit blühenden Wiesen liegen Seite an Seite mit schroffen Wänden, die beinahe senkrecht in den Himmel ragen. In den Höhen pfeifen Murmeltiere, und über den Almen zieht der Klang der Kuhglocken. Unter den hohen Kiefern rauschen Bäche und Wasserfälle, die sich ihren Weg ins Tal bahnen.
Am Lautersee und Isarstausee spiegelt sich diese Bergwelt noch einmal – doppelt schön, doppelt groß. Jeder Schritt führt zu einem neuen Blick: ein Gipfel, der plötzlich hinter einer Hütte auftaucht, ein Grat, der sich im Wasser bricht, ein Tal, das im Abendlicht golden schimmert.
Und über allem thront die Zugspitze in der Ferne – als wollte sie mit ihrer Höhe den Takt für die gesamte Landschaft vorgeben.
Mittenwald selbst ist eingebettet wie ein Schmuckstück in dieser Kulisse. Egal, in welche Richtung man den Blick hebt, die Berge sind immer da – nah, gewaltig, eindrucksvoll. Sie rahmen jede Fotografie, begleiten jeden Schritt, und manchmal hat man das Gefühl, sie würden den Ort mit offenen Armen halten.
Manchmal sind es nicht die Farben, die die Schönheit der Landschaft offenbaren, sondern ihr Fehlen. Wenn die Wolken über das Karwendel treiben und sich das Licht bricht, wird der Himmel zur Bühne eines ewigen Spiels aus Licht und Schatten. In Schwarzweiß verlieren die Bilder alle Ablenkung – und zurück bleibt die pure Form: scharfkantige Felsen, die wie mit Tusche gezeichnet wirken, Wolken, die in grauen Schleiern daran zerren, als wollten sie die Berge verschlucken.
Jeder Windstoß verändert das Schauspiel. Mal reißen die Wolken auf und geben den Blick frei auf die steilen Grate, die sich hell vom Himmel abheben. Mal verdichtet sich der Dunst, hüllt die Gipfel ein und lässt sie wie Geistergestalten erscheinen. In den Fotografien werden die Konturen klarer, die Gegensätze härter. Hell gegen dunkel, weich gegen schroff, Bewegung gegen starre Ewigkeit.
Ein Schwarzweißbild aus dieser Szenerie ist mehr als ein Foto – es ist eine Verdichtung des Moments. Keine Farben lenken ab, nur die Linien der Berge, die Tiefe der Schatten und das Spiel des Himmels. Das Karwendel wird darin zeitlos, fast archaisch, als ob es schon immer so war und immer so bleiben wird.
Wenig später rauscht es. Der Weg führt mich zu den Wasserfällen am Ortsrand. Das Wasser stürzt kraftvoll in die Tiefe, sprüht kühlen Nebel auf meine Haut. Mit jeder Belichtung verwandeln sich die Tropfen in silberne Schleier, das wilde Rauschen wird in meinen Bildern zu einer fast lautlosen Bewegung – ein eingefrorener Atemzug der Natur.
Der Lautersee empfängt mich wie ein Spiegel. Sein Wasser liegt reglos, als würde es den Himmel bewahren wollen. Wolken ziehen über mich hinweg und verdoppeln sich in der Oberfläche, während Lücken im Schilf ins Bild führen. Ich verweile lange hier, lasse die Stille auf mich wirken, und jedes Foto scheint eher ein Abbild der Ruhe als der Landschaft zu sein.
Später zieht es mich weiter zum Isarstausee bei Krün. Das Wasser leuchtet in unnatürlichem Türkis, die Kiesbänke formen helle Linien, und dahinter erhebt sich die Zugspitze.
Am Nachmittag drängt mich das Rauschen der Leutaschklamm in ihre Tiefe. Metallstege tragen mich hoch über das tosende Wasser, das wie ein grüner Faden durch die Felsen schneidet. Licht fällt nur spärlich herein, aber genau darin liegt die Magie: Jede Aufnahme lebt vom Spiel aus Schatten und schimmerndem Wasser. Ein Ort, der zugleich Ehrfurcht und Begeisterung weckt – wild und geheimnisvoll.
Als der Tag sich neigt, kehre ich zurück nach Mittenwald. Nun ist es wieder Nacht, und der Ort leuchtet anders als am Morgen. Laternen werfen weiches Licht auf die bemalten Fassaden, Fenster glimmen golden, und über allem spannt sich ein Himmel voller Sterne. Mittenwald schläft erneut – doch diesmal weiß ich: In jeder Gasse, in jedem Lichtstrahl, in jedem Schatten liegt eine Geschichte, die darauf wartet, erzählt zu werden.
Und meine Kamera hat sie mitgenommen.